Homöopathie und Wechseljahre

Post date: 18.03.2017 15:49:23

Seit langer Zeit hatten wir wieder einmal den bekannten Homöopathen Dr. med. Klaus Roman Hör aus Waldmünchen zu Gast, diesmal in einem neuen Format, einem ganztägigen Seminar am 04. März 2017 im Gemeindehaus St. Georgen zum Thema „Das klimakterische Syndrom“. Angesichts des Einschnitts, den der Eintritt in die Wechseljahre im Leben einer Frau bedeutet, war zu erwarten, dass die Möglichkeiten der Homöopathie bei der Behandlung des komplexen Beschwerdebildes im Klimakterium auf besonderes Interesse stoßen würden.

Vor einem leider nur überschaubaren, aber dennoch hoch motivierten Zuhörerkreis näherte sich Dr. Hör der Thematik von der Physiologie her, indem er den Hormonbegriff erläuterte und darauf aufbauend die hormonelle Regulation des weiblichen Zyklus erklärte („ein Meisterwerk der Natur“). Er hob die zentrale Rolle der Östrogene hervor, weil ja deren Mangel mit Beginn des Klimakteriums der entscheidender Auslöser für die Vielfalt der körperlichen Störungen und Beschwerden ist: Hitzewallungen, flush, (Hautröte), Schwitzattacken, Herzrhythmusstörungen, Blasenschwäche, Hautveränderungen, Haarausfall, Gewichtszunahme, Ausprägung männlicher Merkmale (Virilismus), Osteoporose, Zyklusanomalien, Schlafstörungen, Krebsgefahr. Eine ebenso große Rolle spielen psycho-emotionale Verwerfungen, Reizbarkeit und Stimmungslabilität.

Was die Homöopathie generell auszeichnet, nämlich die Behandlung individueller Beschwerden, stoße, so Dr. Hör, bei Frauen auf gute Voraussetzungen: Erstens weil sie sich wesentlich genauer beobachten als Männer und zweitens, weil ihre Fähigkeit, authentisch Symptome zu beschreiben, weitaus besser ausgeprägt ist. Bei der Anamnese gehe es ihm vor allem um die hinter den Akutsymptomen stehenden Probleme: Probleme mit den Partner, mit den Kindern, Probleme der Selbsteinschätzung. Zentral wichtige Fragen sind: „Was ist anders geworden seit Eintritt des Klimakteriums?“, „Womit können Sie nicht leben?“, „Was müsste anders sein?“. Die Antworten darauf führen Dr. Hör zu der für ihn wichtigen Vorentscheidung, welcher Gruppe von homöopathischen Mitteln die jeweilige Patientin zuzuordnen ist. Dr. Hör verdeutlichte dieses Vorgehen anhand mehrerer Fallbeispiele. Es würde zu weit führen, jeden Fall detailliert zu beschreiben. So seien diejenigen ausgewählt, welche die Bedeutung der psychischen Verfassung für die Mittelwahl besonders gut belegen und die zugleich auf exemplarische Weise Gruppentypisierungen, aber auch die Notwendigkeit zur Differentialdiagnose, zeigen.

  1. Patientin, 48 Jahre, hoher anfallsartiger Blutdruck (hat Todesangst bei solchen Attacken), Angst vor Krebs; zu lange und unregelmäßige Perioden mit dunklen Klumpen, übergewichtig; ihr Mann hat ständig neue Affären; sie sieht ihre Aufgabe darin, für ein schönes Heim zu sorgen, kocht kultiviert, schluckt das Essen herunter; malt gern, verträgt aber keine Kritik an ihren Bildern; möchte ein Leben in Selbstbestimmung führen, kann es aber nicht. Der starke Herzbezug und bestimmte andere Befunde legen ein Schlangenmittel nahe, doch die Gemütssymptome sprechen eindeutig gegen die typischen Charaktermerkmale von Menschen, die ein Schlangenmittel, z. B. Lachesis, brauchen. Stattdessen deckt sich das ausgeprägte Bedürfnis nach Ästhetik mit dem Arzneibild von Elaps corollinus, der südamerikanischen Korallenotter.

  2. Patientin, 52 Jahre, geschieden, leidet an Entzündung der Bartholin’schen Drüsen, viel flush, „bearing- down“-Gefühl (als würden die Unterleibsorgane nach unten drängen und herausfallen), Klaustrophobie, sexuelle Phantasien bei Abwesenheit ihres Freundes, dessen Perfektion sie hasst; Die Symptomatik passt grundsätzlich zu Menschen, auf die das Arzneimittelbild von Meerestieren zutrifft. Sie leben oft in Beziehungen und Berufen um des Überlebens willen. Frauen können keine Symbiose mit einem Mann eingehen, die sexuelle Vereinigung ist ein Problem. Die Worte „Liebe“ oder „Hingabe“ hört man in Therapiegesprächen selten. Beides deutet auf eine tief sitzende Distanz zum Partner hin. Ein bedeutendes Frauenmittel aus der Gruppe der Meerestiere, nämlich Sepia, kommt andererseits nicht in Frage, denn Sepia-Frauen können ihre Weiblichkeit nur schwer akzeptieren und lehnen die traditionelle Rolle der Frau ab. Eine für Sepia typische Abneigung gegen Sex liegt hier nicht vor, eher Zeichen für gesteigertes sexuelles Verlangen. Es wurde deshalb Murex purpurea ( aus einer Meeresschnecke) eingesetzt, mit Erfolg.

  3. Patientin im Klimakterium (Hitzewallungen von der Brust bis in den Kopf; dunkle, zähe Blutungen) handelt oft unüberlegt, empfindet sich als Zumutung für die Familie („Mein Leben ist ein einziges Chaos“), verträgt schlecht enge und warme Räume, bei Fragen nach der Sexualität bricht sie fast zusammen („Wer will schon mit mir intim sein?“). Die Patientin erhielt das Mittel Crocus sativus aus der Familie der Liliengewächse (Liliaceae). Lilien gelten als der Inbegriff des Reinen, Schönen, Unbefleckten. Sie haben aber noch eine andere Seite, die mit ihrem Überdauerungsorgan, der Zwiebel, zusammenhängt. Lilien wachsen vorzugsweise auf schwefelhaltigem Boden, ihre Zwiebeln akkumulieren das Element Schwefel in organischer Form. In der Mythologie wird Schwefel mit dem Teufel, dem Verführer zur Sünde, assoziiert. Es verwundert also nicht, dass die Gemütssymptome von Lilienpatienten zwischen dem Anständigen, Makellosen und dem „Befleckten“ ihrer Sexualität schwanken, dass sie sich zwischen „Himmel“ und „Erde“ erleben. Sie leiden auch unter dem Verlust eines geliebten Menschen. Bei der Patientin war es der Verlust eines Kindes durch Abtreibung. Unter der Behandlung mit Crocus sativus schwächten sich ihre inneren Konflikte ab, sie wurde wesentlich ausgeglichener.

Gerade mit dem letzten Beispiel lenkte Dr. Hör den Blick auf eine besondere Sichtweise der Homöopathie, nämlich auf Themen im Leben des Patienten, die eine Mittelgruppe, hier die Familie der Liliaceae, kennzeichnen. Wir waren beeindruckt von Dr. Hör’s tiefem Verständnis des Menschseins und sind ihm dafür dafür, dass er mit seinem umfassenden ärztlich-homöopathischen Wissen und seiner Überzeugungskraft Frauen Klarheit über Heilung und Linderung ihrer Beschwerden im Klimakterium zu geben vermag.